Er ist weg ...

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bernd s
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Er ist weg ...

Beitrag von bernd s »

Er ist weg,

einer der ersten, vom Netzmeister persönlich noch druckwarm ausgelieferten, Buschtaxi.net Aufkleber.

#1 Buschtaxi net.jpg

Mit ihm geht „Das Auto mit Erfahrung“. Nach fast 27 Jahren und 320.000 gemeinsamen Kilometern trennen sich beim Tachostand von 447.280 km unsere Wege. Viele spannende, eindrucksvolle, lustige, unbeschreibliche Momente und manchmal auch angsteinflößende Erfahrungen sind damit verbunden.

Es waren vor allem die goldenen Zeiten in Libyen und das Widererwachen in Algerien das Maßstäbe setzte. Zudem hat uns der Toyo zweimal komplett und zweimal gut zur Hälfte durch Afrika und 37 Länder in Afrika gebracht. Prägend sind neben den magischen Routen auf den Michelin-Karten vor allem die Reisen durch Gegenden, die selbst in unserer Informationsgesellschaft nahezu weiße Flecken sind. Der Erg von Bilma im Niger, unglaubliche Wüstenlandschaften und eindrucksvollstes Postkarten Afrika im Tschad, Traumstrände und ausgewachsene Schlammpisten neben ungemein aufgeschlossener Bevölkerung in Sierra Leone und Liberia, Anarchie und ein Staat in Auflösung neben Gorillatracking und Jagen mit Pygmäen in der Zentralafrikanischen Republik, im SPLM Sudan ein improvisierter Schlagbaum mit anschließendem Verhör zur Einreise in den Rebellenstaat der noch gar kein Staat ist

#2 Botswana u Liberia-Schlammschlacht.jpg

Nach vielen tausend Kilometern in Afrika war es irgendwann Zeit den Kulturkreis zu wechseln. Der Toyo hatte immer wieder Urlaub in Europa und jetzt war auch mal mehr Zeit die europäischen Wald- und Feldwege zu erkunden. Das heißt nicht unbedingt, dass das immer anspruchslos ist. Unser Festfahr- und Bergerekord steht immer noch bei 1,5 Tagen Arbeit in Rumänien.

Dann gings Richtung Osten mit Fernziel Mongolei. Der direkte Weg ist nicht immer der interessanteste, also mal alles im Bereich der Seidenstraße angeschaut und Zentralasien erkundet. 70 Jahre Sowjetunion haben architektonisch und in der Sozialisierung ihre Spuren hinterlassen. Daher nicht ganz so exotisch, dafür grandiose Berg- und Steppen-Landschaften, Bilderbuch-Seidenstraßen-Architektur, sympathische Leute, Visafreiheit und eine absolute Toleranz gegenüber Wildcampen haben uns begeistert. Die Pässe in Kirgistan und Tadschikistan sind für BJ-Fahrer nervenaufreibend. Wir sind noch nie im Leben so viel im 1sten und 2ten Gang gefahren und unsere Wege hätten sich getrennt, wenn ihn denn in Bischkek jemand gekauft hätte. Kasachstan war Liebe auf den ersten Blick, unendliche Weiten lassen das Herz des Saharafans höherschlagen. Egal ob wilde Berg-Pisten ganz im Osten oder großartige Steppen-Touren im Zentrum, hier war auch der Toyo mal wieder in seinem Element und bei den drei Besuchen wird’s nicht bleiben. Wir kommen wieder!

#3 panopamir.jpg

#4 400000 auf 4000 u Ak-Baital Pass 4655hm.jpg

#5 Fisch Brot Kumys.jpg

#6 Pamir.jpg

Auch Russland hat uns positiv überrascht. Nein, es gibt hier nicht nur Birkenwälder. Ja, die Mücken können extrem nerven. Ja, man kann sich extrem im Schlamm tummeln, wenn man das will und ja, Wegweiser mit 4500km Entfernung können irritieren. Wenn auch die aktuellen Ereignisse der Begeisterung einen Dämpfer verpassen und das Reisen vermutlich auf lange Zeit nicht mehr dasselbe sein wird. Die Mongolei überraschte mit mehr Teer Optionen als erwartet und es gibt nicht nur endlose Grasweiten. Hat man mal den Trick raus und findet dank Russian Military Maps die Nebenpiste von der Nebenpiste wird’s traumhaft und selbst Dünenfahren ist ab und zu mal drin. Sonst beinträchtigen die häufig extrem wellblechigen Schweinepisten den Genuss schon mal und fördern auch den Fahrzeug-Verschleiß deutlich.

#7 Mongolei.jpg

Die Fahrt nach Magadan haben wir dann wegen besagter Mücken verworfen. Irgendwann sollen eh mal die Russischen Eis-Straßen erkundet werden, bei der Gelegenheit werden wir dann wohl mit einem anderen fahrbaren Begleiter in Magadan vorbeischauen.

Auf dem Rückweg gab es im Altay, Ost Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan auch für den Dritt- und Viertbesuch noch genügend zu entdecken. Das „Tor zur Hölle“ in Turkmenistan stand schon lange auf der Wunschliste und in Aschgabat können sich die Architekten anderer Potentaten-Städte anschauen wies geht, beides sehr eindrucksvoll! Iran begeistert, doch dem häufig gehörten „Bestes Reiseland ever“ können wir uns so nicht ganz anschließen. Zurück im Kaukasus widmen wir uns in Georgien und Armenien mal wirklich wilden Berg-Pisten. Die touristischen Highlights haben wir ja schon bei der Anreise erledigt. Aserbeidschan will seine Landgrenzen einfach nicht öffnen, also auf später verschoben und dafür mal kurz im Nord-Irak vorbeigeschaut. In der Türkei und auf dem Balkan noch ein paar Sachen von der Bucket List gestrichen und schon stand der Toyo wieder im Hof.

#8 Kasachstan Oesterreicher Weg.jpg

#9 Kasachstan.jpg

Das Auto hatte kein leichtes Leben und so manchmal habe ich mich gewundert das sich da überhaupt noch ein Rad dreht. Ich bin kein Anhänger des Mythos des ewigen Toyo-Lebens der gerne beschworen wird. Mit ein bisschen Korrosionsschutz und regelmäßigem Ölwechsel reitet man nicht für immer zusammen in den Sonnenuntergang. Hier gilt, wenn man mit den Dingern was macht, muss man auch was dran machen. Vorbeugende Wartung ist der Schlüssel. Einerseits würde ich das eine oder andere gar nicht mehr so voreilig austauschen (z. B. Radlager) andererseits war ich erstaunt wie es im Getriebe (Lager, 5te Gang Welle) und Differential (Lager) schon nach 230.000 km ausgesehen hat.

Alles in allem lassen sich die Situationen in denen wir wirklich gestanden sind an einer Hand abzählen und er musste nie auf den Abschlepper. Der geplatzten Kühlerschlauch auf der deutschen BAB wurde der Navigatorin vom ADAC vor Ort repariert. Im russischen Altai wars das Abschaltventil. Hat sich doch das Käbelchen am Stecker nach dreißig Jahren der Schüttelei und Hitze gebeugt und ist abgebrochen. Etwas nerviger war eine Falschluft-Aktion, die sich mit diversen Verdächtigen über Tage hingezogen hat und erst durch das dauerhafte Umklemmen auf den Zusatztank erledigt war. Grob waren gelöste Stehbolzen am Spurlager an der Kenianisch-Äthiopischen Grenze. Das deutlich schief stehende Rad ließ schon mal das Schlimmste befürchten. Doch nicht der Missionsflieger aus Nairobi musste die Lager nach Moyale bringen. Nein, der lokale Gemischtwarenladen hatte sie unter der Theke und eine drei Häuser weiter im Garten vor sich hin gammelnde, ausgeschlachtete Achse steuerte die Stehbolzen bei. Der Rest kam aus der Ersatzteilkiste und 2 Tage später waren wir wieder unterwegs. Auf dem afrikanischen Kontinent ist der Werbespruch „This is Toyota Country“ Realität.

Generell ist der BJ power-technisch eher eine Plage. Das heißt jetzt nicht, dass man mit dem Fahrzeug nichts machen kann. Auf Piste und in den unteren Gängen macht das Auto echt Laune. Die verfliegt aber bei der kleinsten Steigung und vor allem auf langen Teeretappen. Überholen ist sehr schwierig und es gilt das alte Strich-Acht-Motto "Lieber sterben als den Schwung verlieren".

Wenn ich wirklich etwas bereue, dann nicht schon vor langer Zeit einen anständigen Motor eingebaut zu haben.

Zum Schluss wäre fast noch eine alte Drohung unverdient wahr geworden. Immer wenn er genervt hat war der Running Gag „Wenn du jetzt nicht guttust, kommst du zum afrikanischen Mechaniker und bleibst für immer in Afrika“. Der Exporteur war quasi schon unterwegs als sich mit K. doch noch ein Toyota-Begeisterter entschlossen hat unseren treuen Reisebegleiter nochmal hübsch zu machen und ihm ein zweites Leben zu schenken.

Mach‘s gut alter Freund!

Bernd + Sabine

#10 Flaggen.jpg
BJ75 - "Schau mal, das ist ein Auto mit Erfahrung" - Verkauft mit 447.280 km
FZJ 80 RHD
http://www.afritracks.de

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LaGirafe
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Re: Er ist weg ...

Beitrag von LaGirafe »

Sehr sehr schoen geschrieben Bernd und Sabine!
In den vergangenen 20 Jahren habe ich so einige Eurer Erfahrungen aus erster Hand miterlebt und kann deshalb sagen: besser haette man es nicht zusammen fassen koennen.
Es war sicherlich ein ruehrender Moment wenn man sich nach so langer Zeit von einem 'Familienmitglied' trennen muss. Ich hoffe es findest sich ein geeigneter Nachfolger.
Ich hoffe auch dass es Euch nicht so geht wir mir wenn ich immer sage: in meinem Leben habe ich zwei Land Cruiser verkauft und das waren zwei zuviel!
Weiter so!

Beste Grusse, Gerd J.
'21er Lapp-Expeditions-Trailer: der erste 390er
'20er GRJ79DC: getestet 4/22 und 6/23 in Tunesien
'13er KDJ150: Familienkutsche
'97er HZJ75: Muenchen-Kapstadt -> derzeit Namibia
'85er HJ60: 01 verkauft in Mali
'79er BJ40: 00 verkauft in Mali
http://lesamisdesgirafes.beepworld.de

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Surfy
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Re: Er ist weg ...

Beitrag von Surfy »

Abschied nehmen fällt schwer - aber ist doch schön zu sehen dass ein anderer das Abenteuer fortsetzen wird :wink:

Ich bin gespannt was es bei euch nun wird als Reisegefährt.

Danke für die schönen Bilder - und die Schilderung von Reisegebieten in Afrika - die schon eine ganze weile nicht mehr bereisbar sind..

Surfy

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_Malte_
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Re: Er ist weg ...

Beitrag von _Malte_ »

Ich kann das auch nachvollziehen. Beim ersten LC war es nicht so schlimm, weil er gegen einen nagelneuen eingetauscht wurde, den ich immer schon gerne haben wollte.
Als dieser aber nach 20 Jahren täglicher Nutzung gehen musste, merkte sogar der Händler, dass ich leicht feuchte Augen hatte.
Aber eine schöne Story, fast ein Reisebericht.
meine bisherigen 4x4: Patrol K160-->Toyota LJ70-->Toyota KJ73-->LR Defender 90

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Matengi
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Registriert: So 19. Aug 2018, 21:36

Re: Er ist weg ...

Beitrag von Matengi »

Hallo Sabine und Bernd,
ja, ja, der gute alte Toyo, bereitete während des Betriebes wenig Kopfschmerzen aber nach der Trennung heftige Herzschmerzen. Kann ich sehr gut nachempfinden, obwohl sich meine Trennung schon nach 350000 km bzw. 26 Jahren ergab. Die gemeinsamen Touren durch die Tenere‘ und den Erg von Bilma bleiben ein unvergessliches Erlebnis. Ich hoffe, ihr findet bald einen würdigen Nachfolger.
Gruß, Martin

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