Westalpen: Chaberton - die höchste Festungsanlage der Alpen

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wolfram
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Westalpen: Chaberton - die höchste Festungsanlage der Alpen

Beitrag von wolfram »

Werte Gemeinde,

der folgende Beitrag erschien unlängst auf unserem Blog. Nun ist zwar die Saison für einen Besuch nicht mehr die richtige und die von Fenils heraufführende Straße für den motorisierten Zugang längst gesperrt bzw. auch ohne Sperre nicht mehr passierbar, dafür das Fort aber von drei Seiten zu Fuß zu erreichen. Trotz dieser Herausforderung "zu Fuß", denke ich, dass das Thema hier von Interesse sein könnte. Deswegen die "Zweitveröffentlichung". Viel Spaß beim Lesen und gute Kondition im nächsten Sommer wünschen Sabine und Wolfram:



Der höchste und prägnanteste Gipfel des Susatales ist natürlich der Rocciamelone. Und zudem mit seinen 3.538 Metern auch der höchste Wallfahrtsort der Alpen.

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Wenn es aber darum geht, welcher Berg in diesem Tal das kurioseste Aussehen hat – acht ‚Zähnchen‘ auf der abgeflachten Spitze - läuft dem weithin sichtbaren Mont Chaberton kein Berg der gesamten Region den Rang ab.
Auf einer Wanderung durch das Val Thuras, einem etwas abseits gelegenen sehr attraktiven Seitental der Dora Riparia, hatten wir ihn vor einigen Tagen sehr lange im Blick – Grund genug, endlich einmal über diesen Berg und sein von Menschen Hand geschaffenes Aussehen zu berichten.

Die Abdankung Napoléon III. im Jahr 1870, der oft als ‚Ziehvater‘ des italienischen Einigungsprozesses bezeichnet wird, und die nachfolgende Verschlechterung in den diplomatischen Beziehungen beider Länder zogen eine bisher nicht gekannte Aufrüstung entlang des Alpenhauptkammes nach sich. So wurden beispielsweise zwischen 1880 und 1890 die Forts am Col de Tende errichtet. Aber erst nachdem Italien 1882 dem Dreibund beigetreten war und sich so mit Deutschland und Österreich starke Verbündete gesichert hatte, reiften Pläne für den Bau einer Festungsanlage auf dem 3.130 Meter hohen Mont Chaberton.

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die Baustelle im Jahr 1906

Von Fenils wurde ab 1891 eine 14 Kilometer lange Straße hinauf gebaut, die ‚Strada militare di Val Morino‘ (auch: Strada militare dello Chaberton), und danach erste Unterkünfte errichtet. Im Jahr 1898 wurde mit dem Bau der Anlage begonnen, in die zu Spitzenzeiten 400 Arbeiter einbezogen waren. Deren Versorgung erfolgte über eine aus Cesana heraufführende Materialseilbahn.

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Der Gipfel wurde auf der Frankreich zugewandten Seite auf einer Fläche von 140 x 30 Metern abgeflacht und dahinter, sozusagen als Stufe ungefähr 15 Meter tiefer ein 110 x 10 Meter großes einstöckiges Betongebäude als Sockel für die 8 Geschütztürme errichtet. Jeder dieser Türme hatte einen Durchmesser von 7 Metern und eine Höhe von 8 Metern. Oben drauf saß jeweils eine um 360 Grad drehbare Stahlkuppel für die Geschütze. Von der französischen Seite waren also lediglich diese zu erkennen.
Eine gigantische Anlage also, die hier vis à vis zu den in unmittelbarer Nähe liegenden französischen Anlagen Fort du Gondran, Fort de l‘Olive und Fort du Janus ab 1898 entstand.

Fertiggestellt wurde das Forte Chaberton, von den Franzosen auch "Cuirassé des Nuages" oder "Fort des Nuages" genannt, im Jahr 1913. Kam danach aber nie zum Einsatz. Denn als Italien unter recht fadenscheiniger Begründung 1915 den Dreibund kündigte, waren Italien und Frankreich auf einmal Verbündete – und die Geschütze wurden an die italienisch-österreichische Front transportiert.
Unter Mussolini wurde das Höhenfort 1927 wieder bewaffnet. Es wurde zur nächsten Auseinandersetzung mit dem Nachbarn gerüstet. Und nachdem Italien Frankreich am 10. Juni 1940 den Krieg erklärt hatte, um sich an der Liquidation des bereits von der deutschen Wehrmacht geschlagenen Gegners noch rasch und vermeintlich risikolos zu beteiligen, wurden vom Chaberton aus am 16. Juni 1940 – 42 Jahre nach Baubeginn – die ersten Salven abgefeuert.

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Die Franzosen nahmen das Fort ab dem 21. Juni von einer südsüdwestlich von Briançon gelegenen bis zuletzt geheim gehaltenen Stellung ins Visier – und schon nach dem ersten Tag waren nur noch 2 von 8 Geschützen einsatzbereit. So viel zum Thema ‚risikolos‘.
Geblieben sind die Ruinen, die jetzt dem Gipfel des Mont Chaberton aus der Ferne sein gezacktes Aussehen verleihen. Und die stehen seit dem Friedensvertrag von 1947 auf französischem Territorium.

Bis in die 80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts war der Gipfel über die von Fenils heraufführende Piste noch mit einem geländegängigen Wagen anfahrbar. Diesen Weg können/ dürfen heute wegen teilweiser Verschüttung und Sperrung der Strecke nur noch Mountainbiker nutzen. Für Wanderer bietet es sich an, den weitaus kürzeren (und längst nicht so staubigen) Weg von Claviere herauf zu nehmen , für den man circa 4 Stunden benötigt.

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Schade, dass der 1957 entstandene Plan, auf dem Gipfel des Monte Chaberton ein Rifugio zu errichten, nicht umgesetzt wurde. Dort hätten im 2. Geschoss, zwischen Restaurant und Panoramekuppel, 5 Doppelzimmer und 8 Einzelzimmer eingerichtet werden sollen. Quel luxe!

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toyo heinz
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Re: Westalpen: Chaberton - die höchste Festungsanlage der Al

Beitrag von toyo heinz »

Hallo Wolfram,
vielen Dank für den tollen Bericht. Ich bekomme beim lesen starkes kribbeln in der Magengegend.
Habe den Chaberton Anfang der 80er die letzten Höhenmeter bestiegen, da der Niva den Trail auch nicht
mehr schaffte. Die letzten Höhenmeter waren nur noch zu Fuß oder mit einer kleineren Enduro
zu schaffen. Werde den Chaberton in absehbarer Zeit jetzt mit dem Mountainbike anvisieren.

Viele Grüsse aus Franken von Heinz :P
Bis 2018, LC 100.
Seit 2019, VW Touareg V8 4,2 FSI, 350PS, Bj.2007, 1Hd. gekauft mit erst 6200km. Jetzt 55000km.

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DerAustralier
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Re: Westalpen: Chaberton - die höchste Festungsanlage der Al

Beitrag von DerAustralier »

danke dir, wolfram, dass du mit diesem schönen bericht wieder einen finger in eine klaffende wunde gelegt hast, nämlich in die der noch offenen projekte in den alpen.
im juli wars uns zu stressig in der kurzen zeit, aber sehnsüchtig haben wir hochgeblickt.

ich bin übrigens der meinung, dass es gut ist, dass das rifuguo dort nicht gebaut wurde.

nächstes mal laufen wir mal hoch ... :)
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Bondgirl
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Re: Westalpen: Chaberton - die höchste Festungsanlage der Al

Beitrag von Bondgirl »

Danke Dir. Spannende Architektur- das unverwirklichte Rifugio. Gibt es irgendwo Infos wer das gezeichnet hat? Alpen stehen wohl nächstes Jahr irgendwann mal an.
Gruß,
die Anna

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Bondgirl
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Re: Westalpen: Chaberton - die höchste Festungsanlage der Al

Beitrag von Bondgirl »

Gruß,
die Anna

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DerAustralier
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Re: Westalpen: Chaberton - die höchste Festungsanlage der Al

Beitrag von DerAustralier »

welchen weg würdet ihr denn hoch empfehlen ? den von fenils oder von claviere aus ?
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hotsch
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Re: Westalpen: Chaberton - die höchste Festungsanlage der Al

Beitrag von hotsch »

86´bin ich mit dem Lux bis zum Sattel kurz vor dem Fort gekommen. 88´und ´90 mit der alten Tenere zu zwei bis hoch. Mountainbike wäre eine Alternative. Aber laufen :ka: Soll ich Bilder einstellen und euch ein bisschen quälen :aetsch:
Gruß Holger

2.8er Invincible, 285/70 AT2 auf 9 x 17 ET30, 30er Spurplatten, Ironman Performance +40 mm, Luftfederung, HornTools Abdeckung schwarz, aufgelastet, Thokie 215

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Redneck
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Re: Westalpen: Chaberton - die höchste Festungsanlage der Al

Beitrag von Redneck »

Servus!

Sehr interessanter Bericht! Bild Mich interessieren diese alten Forts auch, vor allem die aus dem Alpenkrieg aus dem ersten Weltkrieg. Erst vor ein paar Wochen haben wir im Trentino wieder ein paar dieser alten Bollwerke besucht, wie z. B. das Forte Leone oder das Forte Belvedere (Werk Gschwent), das ja als Museum zu besichtigen ist.

Auffahrt zum Forte Belvedere:
Bild

Oben am Forte:
Bild
Bild

Auch in den Westalpen haben wir einige besucht, wirklich sehr interessant.

:bulb: Hier ist eine meiner Meinung nach sehr interessante Seite zur Geschichte, über den Bau, den Beschuß und viel mehr:
http://www.moesslang.net/fotos2.htm

gruß, Jürgen
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wolfram
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Re: Westalpen: Chaberton - die höchste Festungsanlage der Al

Beitrag von wolfram »

@hotsch

2001 habe ich (zu Fuß) noch einen Endurofahrer auf dem Monte getroffen.


@Australier

am schnellsten geht's von Claviere aus (3,5 Stunden solltest du für den Aufstieg einplanen), ist aber nichts fürs MTB - bis zum Colle Tragestrecke. DerWeg von Fenils ist länger und mit dem Rad gut machbar.
Die in der Karte 'rot' und 'violett' eingezeichneten Wege habe ich der Vollständigkeit wegen angeführt.
Violett: nicht mehr praktikabel, weil durch Neubau der Straße bzw. Untertunnelung das Anfangsstück des Weges nicht mehr existiert -> Alternative 'Grün`
Rot: damals die kürzeste Verbindung zw. der Batteria Alta del Petit Vallon und dem Gipfelfort und eher was für Bergsteiger (Fixseile und Eisenklammern als Trittstufen)


@Bondgirl

Torrado Lesca, Ing. aus Turin.
Solche Ideen - zerstörte Militäranlagen in Hotels / Luxushütten - hatten schon mehrere Leute. Architekturstudenten versuchten sich am Fort Central (Col de Tende) und für den Chaberton gab es einen Entwurf, der eine Querbebauung über den mittleren Türmen vorsah.

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hotsch
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Re: Westalpen: Chaberton - die höchste Festungsanlage der Al

Beitrag von hotsch »

wolfram hat geschrieben:2001 habe ich (zu Fuß) noch einen Endurofahrer auf dem Monte getroffen.


Wir waren ~ 96 das letzte mal zum Endurofahren in Bardoneccia. Ich habe mit eigenen Augen gesehen (was ich bis dato für Schauermärchen hielt), wie Motorräder vom Chaberton mit Hubschraubern ins Tal geflogen wurden. Neben dem Abstieg zu Fuß ließ sich das olivgrüne Transportunternehmen die Aktion auch sehr gut bezahlen :wink: .
Gruß Holger

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wolfram
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Re: Westalpen: Chaberton - die höchste Festungsanlage der Al

Beitrag von wolfram »

Werte Gemeine,

hotsch hat geschrieben:Ich habe mit eigenen Augen gesehen (was ich bis dato für Schauermärchen hielt), wie Motorräder vom Chaberton mit Hubschraubern ins Tal geflogen wurden.


Ich hab' davon gehört und das immer für Motorradfahrerlatein gehalten. Ebenso die Aussage, der eine oder andere Veranstalter besäße eine Ausnahmegenehmigung für die Auffahrt zum Fort.
Wobei "eine Ausnahmegenehmigung" schon mal garnicht geht. Dafür bräuchte es nämlich derer zwei: eine von den Italienern von Fenils zum "gespaltenen Fels", die andere von den Franzosen bis hoch.

Gruß Wolfram

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